Rezension von Gerlinde Deckers-Fabian zur Uraufführung der Nachtstücke in SCALA11 am 05.03.16

Auszüge vorweg:

„Die in den … Nachtstücken… sich vollziehende innere Logik und Kohärenz, vergleichbar den Parallelwelten in guter Kinderliteratur, ist ein Faktum, dem man sich als Zuschauer kaum entziehen kann und dessen Akzeptanz nicht zuletzt durch die Ernsthaftigkeit in den Gesichtern der jungen Tänzer und Tänzerinnen und der starken Überzeugungskraft ihrer Gesten und Bewegungen geradezu eingefordert wird…“

„Die Existenz des seit Anfang der 90er Jahre von dem Folkwangabsolventen und –preisträger Ronald Blum ins Leben gerufenen privaten Studios SCALA11 ist ein wahrer Glücksfall für alle hier im Umkreis Wohnenden…“

„Methodisch leistete Blum im Bereich des Tanztheaters, besonders was die Arbeit mit Kindern betrifft, in den vergangenen Jahrzehnten bis heute geradezu Pionierarbeit…
Abgesehen von seinen unbestreitbaren „handwerklichen“ Fähigkeiten in der gerade auch für kleinere Kinder besonders anregenden musikalischen Bewegungsbegleitung am Klavier wird er sich seines besonderen Talents, nennen wir es mal seinen „siebten Sinn“, im Umgang mit Kindergruppen jedweden Alters sehr wohl im Klaren sein…
Bestimmte pädagogisch-methodische Begrifflichkeiten wie die Rede vom „besonderen pädagogischen Geschick und Fingerspitzengefühl“ … können sicher teilweise dienlich sein, um den über Jahrzehnte andauernden unbestreitbaren motivationalen Erfolg Ronald Blums zu begreifen…
Wie entwickelt Blum bei seinen Schülern diese Lust an technischen Fertigkeiten und Fähigkeiten …? Ein wesentliches Grundprinzip seines tanzpädagogischen Ansatzes liegt sicher darin, jedem Tänzer genügend Raum für eigene Experimente und körperliche Erfahrungen zu lassen…
Blum entwickelte hier ein differenziertes System von Möglichkeiten, z.B. mittels impulsgebender Signale untereinander oder mittels Zuweisung wechselnder Führungsrollen die Aktionen der Tänzer unbemerkt zu steuern…
Wie aus dem Nichts heraus entstehen so im fortlaufenden Prozess kleine in sich geschlossene Szenen, Handlungsabläufe, stimmige, teils rätselhafte Sequenzen mit der inneren Struktur einer Erzählung, über deren Sinn man lange nachdenken kann, es aber auch nicht muss, da sie – ähnlich wie bei der Betrachtung eines guten Bildes –  nicht primär inhaltlich, sondern insbesondere aus der Kraft ihrer formgebenden visuellen Erscheinung heraus „gelesen“ werden können. Hier spielen aber individuelle künstlerische Eingebungen, Vorstellungen und Visionen hinein, die ein Geheimnis bleiben. Denn Tanzkunst ist und bleibt auch ein Stück Zauberei – die Faszination des Unaussprechlichen.“

Hier die ganze Rezension:

Erlebbare Kunst und inspirierte musische Erziehung in Essen-Werden  –  Eindrücke und Gedanken  zum  Besuch der Aufführung am 05.03.16 in SCALA11

Der Besuch einer Werkschau in SCALA11 ist immer eine lohnenswerte Unternehmung.  Nicht nur, dass  Eltern sich ein Bild machen können über die individuellen tänzerischen Lernfortschritte ihrer Kinder und Einblick erhalten in die Arbeitsergebnisse der vergangenen Wochen und Monate in den einzelnen Kursen  –  die  Vorführungen bieten darüber hinaus dem, den Räumlichkeiten des großen Tanzsaales entsprechend  angenehm klein gehaltenen  Zuschauerkreis  immer einen besonderen künstlerischen Leckerbissen.
Zwar können kunstinteressierte Zeitgenossen sich in unserem idyllischen kleinen Stadtteil über Mangel an qualifizierten kulturellen Angeboten, zumal  auch für den kleineren Geldbeutel realisierbar, wahrlich nicht beklagen – gibt es  doch die Möglichkeit, sich das aktuelle Können junger Studierender an unserer berühmten Folkwang-Universität jederzeit vorführen zu lassen. Dieses in der Tat große Privileg  Werdener Bürger, so in vielseitiger Form sehr kostengünstig an die moderne Kunstwelt angeschlossen zu sein, wird, so stellt man angesichts der teilweise recht geringen Besucherzahlen immer mal wieder  fest, insgesamt betrachtet erstaunlich wenig genutzt –  vielleicht  gerade wegen der räumlichen Nähe (was direkt vor der Haustür liegt,  geht  oft unter im täglichen Einerlei).
Dabei kann unser gutes altes Werden über die Aufführungen der traditionsreichen  Folkwangschule  oder des im Tanzbereich an diese angeschlossenen  Werdener Gymnasiums hinaus durchaus noch mit einer weiteren, i.a. ebenfalls viel zu wenig  beachteten echten Perle aufwarten: die Existenz des seit Anfang der 90er Jahre von dem Folkwangabsolventen und –preisträger  Ronald Blum ins Leben gerufenen privaten Studios „SCALA11“ ist ein wahrer Glücksfall für all diejenigen hier im Umkreis Wohnenden, die das Bedürfnis nach eigener künstlerischer Betätigung und Entfaltung ihrer Talente verspüren, denen die genannten hochkarätigen Werdener Institutionen in dieser Hinsicht aber nicht zugänglich sind.
Die unkonventionellen Tanztheaterkurse unter der Leitung von Ronald Blum bieten  Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen neben dem  individuellen Spaß am Tanzen im sozialen Verbund einen Ort fortwährender Inspiration, in dem man eine  grundlegende Einführung in künstlerisch orientierte Empfindungs- und Erlebniswelten erfährt, ausgehend von der pädagogischen Grundidee, dass in jedem Kind neben der grundsätzlich vorhandenen Bewegungsfreude schöpferische  Möglichkeiten  angelegt sind, die es lediglich anzustoßen gilt, um sich daraufhin in einem Prozess der weitgehenden Selbststeuerung qua eigener Phantasie und Vorstellungskraft aus sich heraus weiterzuentwickeln und auszuformen.
Methodisch leistete Blum im Bereich des Tanztheaters, besonders was die Arbeit mit Kindern betrifft, in den vergangenen Jahrzehnten bis heute geradezu Pionierarbeit,  waren doch vergleichbare Projekte bis dato vorwiegend auf den Erwachsenenbereich beschränkt. Die Sichtweise, dass Kinder gleichermaßen autonom agierende, zur Selbststeuerung befähigte Wesen sind, die alle Voraussetzungen für das, was in der künstlerischen Arbeit zum Tragen kommt, bereits mitbringen, war in der Tanzpädagogik der 80er durchaus noch nicht überall angekommen, zumindest nicht in der Praxis. So erklärt es sich, dass sich Blums Arbeitsweise in seinen Kinderkursen  kaum wesentlich von der in seinen früheren Erwachsenenkursen unterscheidet:  sein Grundkonzept,  theaterhafte Szenen und Abläufe aus den der Improvisation erwachsenden Ideen heraus in gemeinsamer Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Kursteilnehmern zu entwickeln, bleibt erhalten.
Die für das Hervorbringen solcher Ideen für szenische Darstellungen ihm zur Verfügung stehenden Verfahrensweisen sind dabei vielfältig; mal mittels bestimmter Vorgaben von konkreten Tanzfiguren oder Bewegungssequenzen, mal völlig frei davon, mal mittels bestimmter Impulse zur Anregung eigener Vorstellungen, mal ganz ohne diese auskommend.
Selbst dann, wenn vorerst von vorgegebenen Tanzfiguren oder Bewegungssequenzen und deren systematischem Einüben ausgegangen wird, welche in daran anschließenden frei gestalterischen Improvisationsphasen zur „Anwendung“ gebracht werden, lässt Blum immer noch Spielräume, z.B. indem er die Tänzer aus alternativen Bewegungsmöglichkeiten eine eigene Auswahl treffen bzw. dieselben auch nach eigenem Empfinden und Vermögen abwandeln oder freier gestalten lässt. Dass die jeweilige Bewegung dabei gekonnt und korrekt auszuführen ist, ergibt sich quasi wie von selbst, wie als Nebeneffekt.
Ein weiteres wesentliches Mittel ist das der Imitation, des unmittelbaren Aufgreifens von Bewegungsformen und –abläufen der anderen Teilnehmer. Dies setzt eine wache Beobachtung des gesamten Tuns der Gruppe voraus und schärft zugleich die Wahrnehmung und das Gespür für künstlerisch relevante Vorgänge.
Scheinbar wie vom Zufall geleitet, stellen sich dadurch im Zuge der Improvisation in vielfacher Hinsicht Bezüge und Zusammenhänge zwischen den verschiedenen, gleichzeitig oder zeitlich versetzten Abläufen her, welche, sobald sie entstanden und für wert befunden worden sind, festgehalten und markiert werden, so dass die Tänzer in ihren Einzelaktionen wie durch ein unsichtbares Band physisch und ideell miteinander verbunden sind. Blum entwickelte hier ein differenziertes System von Möglichkeiten, z.B. mittels impulsgebender Signale untereinander oder mittels Zuweisung wechselnder Führungsrollen die Aktionen der Tänzer unbemerkt zu steuern, ohne dabei den Improvisationscharakter derselben aufgeben zu müssen. In anschließenden Reflexionsphasen kommt es dann zur gemeinsamen Bewertung der Vorgänge, zur Formulierung von Alternativen oder Änderungsvorschlägen, woraufhin verbindliche  Absprachen getroffen werden.
Wie aus dem Nichts heraus entstehen so im fortlaufenden Prozess kleine in sich geschlossene Szenen, Handlungsabläufe, stimmige, teils rätselhafte Sequenzen mit der inneren Struktur einer Erzählung, über deren Sinn man lange nachdenken kann, es aber auch nicht muss, da sie – ähnlich wie bei der Betrachtung eines guten Bildes –  nicht primär inhaltlich, sondern insbesondere aus der Kraft ihrer formgebenden visuellen Erscheinung heraus „gelesen“ werden können. Hier spielen aber individuelle  künstlerische Eingebungen, Vorstellungen und Visionen hinein, die ein Geheimnis bleiben. Denn Tanzkunst ist und bleibt auch ein Stück Zauberei –  die Faszination des Unaussprechlichen.
Vergleich mit Kompositionstechniken in Musikstücken
Versucht man die  hinter den gezeigten Tanzfiguren und –abläufen stehenden  zusammenhangstiftenden Geheimnisse zu lüften, so drängen sich dem in der analytischen Beschäftigung mit Musikstücken etwas bewanderten Zuschauer diverse Analogien zu formgebenden Prinzipien in musikalischen Werken auf, wie sie sich bereits in frühen Formen  des Mittelalters über Barock und Klassik bis in die moderne Musik hinein durchgesetzt und gehalten haben. Hierbei spielt u.a. die Technik der Fortspinnung von musikalischen Motiven eine besondere Rolle, dank derer sich in musikalischen Werken durch gestalterische Mittel wie Wiederholung, Imitation, Variation, Kontrast, Parallel-oder Gegenbewegung ein schier unerschöpfliches Reservoir an Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet.
Dass sich diese kompositorischen Mittel auch auf den Bewegungsbereich übertragen lassen, ist dem Musik- und Bewegungspädagogen seit langem bekannt: So können auch Bewegungsmotive als Basiselement fungieren, in ihrer ursprünglichen Gestalt deutlich und wiedererkennbar vorgestellt, dann erweitert bzw. verkürzt, verlangsamt oder beschleunigt, perspektivisch im Raum verschoben oder gar seitenverkehrt  wiederholt, dann gedoppelt, verdreifacht, vervielfacht werden, in Kontrast  oder kompletten Gegensatz  zu  weiteren, gleichzeitig  auftretenden Bewegungsmotiven treten, um an anderer Stelle umso entschiedener wieder zu ihrer ursprünglichen  Form zurückgeführt zu werden. In dieser Weise fortentwickelte bzw. –fortgesponnene Bewegungsmotive berühren, vermengen oder bekämpfen sich,  nehmen neue gemeinsame Formen an, um diese alsbald wieder aufzugeben … zusammengenommen ein kleines Universum von aufeinander bezogenen oder von einander losgelösten, sich immer wieder zusammenfindenden oder trennenden, klar strukturierten oder sich zeitweise völlig im gemeinsamen Wust verlierenden Einzelerscheinungen, mit je eigener Grundgestalt und Gesamtfunktion.

Allgemeinpädagogischer Stellenwert
Will man die kunstpädagogische  Arbeit  in anderen Institutionen, z.B. in öffentlichen Schulen im musisch-künstlerischen Bereich, an der Arbeit Ronald Blums messen, so  schneiden diese vor allem in Hinblick auf motivationale  Aspekte vergleichsweise  schlecht ab. Dies kann man sicher nicht allein dem dortigen Unterricht anlasten, in dem, z.B. in Theater-, Kunst-oder Musikkursen, auch oft viel Gutes und Vorführbares  geleistet wird, und dies  trotz der chronisch schlechten Bedingungen, was Ausstattung,  Zeit und Muße, Grupppengrößen etc., die altbekannten strukturellen Mängel unseres Schulsystems also, betrifft.
Hier hat eine private Institution, deren Arbeit außerhalb jeder pflichtorientierten und leistungsmessenden Grund-konstante angelegt ist, zweifelsfrei große Vorteile.  Dennoch führen Aspekte wie Freiwilligkeit der Teilnahme oder größerer Freiraum nicht zwangsläufig zu erhöhter Qualität, weswegen eine effektive kunstpädagogische Arbeit ohne spezifische Zielrichtung und Arbeitsweise auch hier undenkbar ist.
„Kunst“ hat ja bekanntlich mit „Können“ sehr viel zu tun. Besonders in der  Arbeit  mit Kindern bzw. Heran-wachsenden ist daher die Gefahr, sich bei Aufführungen in qualitativer Hinsicht  schnell auf schwankendem Eis zu bewegen, sehr groß. Diesem Umstand  versuchten klassische Tanzschulen in der Vergangenheit häufig (so z.B. anschaulich beschrieben in der teils autobiografischen Schilderung von Amélie Nothomb in ihrem Roman „Petit Robert des noms propres“) mittels vermehrtem Drill  und Gleichschaltung aller zu begegnen, wodurch bekanntlich der individuellen kreativen Phantasie und Inspiration scharfe Grenzen gesetzt wurden.
Was Drill und Durchsetzung erhöhter Anforderungen betrifft, so haben sich in den heutigen Institutionen  musischer Bildung und Erziehung  die Verhältnisse allgemein jedoch genauso verschoben wie in anderen  pädagogischen Bereichen. Da wird händeringend  nach immer neuen „motivationsfördernden Methoden“ gesucht, welche in einem Akt  der Hilflosigkeit in die Schulen gedrückt werden, oft auf Biegen und Brechen und ohne jede anschließende Evaluation. Denn man steht unter Zugzwang: Allerorts droht im kulturellen  Ausbildungsbereich das Damoklesschwert  sinkender Teilnehmerzahlen, stellt die immer geringer werdende vielbeschworene  „Motivation“ die Pädagogen vor die immer schwieriger zu lösende Aufgabe, mit der wachsenden Unlust der Heranwachsenden, Anstrengungen jedweder Art zu erdulden,  umzugehen. Was nicht unmittelbar als unvermeidbar identifiziert wird, fällt dabei hinten runter: das bekommen die Musikschulen wie auch die Organisatoren des Theater- und Kulturbetriebs heute sehr deutlich zu spüren, die zu Recht den kontinuierlichen Rückgang an nachwachsenden bildungs- und kunstinteressierten jungen Leuten beklagen, von deren Akzeptanz oder Indifferenz die zukünftige Existenz vieler kultureller Veranstaltungen und Institutionen jedoch maßgeblich abhängen wird.
Nun ist der Streit um die „richtige Methode“ ein immer währendes Politikum. Nach wie vor ließ sich in der pädagogischen Diskussion die Frage, warum der eine Unterricht zum Erfolg, der andere zum Misserfolg führt, nicht zufriedenstellend klären. Immerhin war man sich in erziehungswissenschaftlichen Kreisen in Hinblick auf die „Komplexität“ pädagogischer Prozesse lange Zeit weitgehend einig, also einfachen Erklärungsmustern gegenüber („der Lehrer war’s Schuld!“-  aus Elternsicht traditionsgemäß die maßgebliche Erklärungsweise) resistent. Warum aber „die Chemie“  zwischen Lehrer und Schüler manchmal „stimmt“ und manchmal nicht, so dass Schüler sich ggf. animieren lassen, bestimmte Dinge in ihr bisheriges Verhalten zu integrieren  oder  lernen zu wollen, lässt sich ohne Heranziehen sozial- und individualpsychologischer, gar biologischer Gründe  nicht klären.
Jeder Therapeut, der seinen Klienten zu einem veränderten Verhalten führen will, weiß um die Bedeutung interpersonaler Schwingungen und Vorgänge, die ein besonderes sensibles Gespür für die individuelle Ansprache und personenbezogene Vorgehensweise erforderlich machen. Bestimmte pädagogisch-methodische Begrifflichkeiten  wie die Rede vom „besonderen pädagogischen Geschick und Fingerspitzengefühl“ oder etwa dem einer freiheitlichen Erziehung  zugewandten Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“ können sicher teilweise dienlich sein, um den über Jahrzehnte andauernden unbestreitbaren motivationalen Erfolg Ronald Blums zu begreifen. Hierfür eine Antwort zu finden und in Worte zu kleiden, bleibt ein sehr komplexes Problem, da sich die allgemeinpädagogischen, sozial- und individualpsychologisch relevanten Faktoren hier kreuzen mit dem Medium der Kunst, wobei Letztere, aus sich heraus wirkend, den Zugang in eine andere Sphäre, in eine andere Form von Realität eröffnet und dabei innere Schichten berührt, die im normalen Schulunterricht in der Regel zwangsläufig außen vor bleiben müssen, mal abgesehen von einzelnen, dem Schulalltag oft unter Einsatz größter Anstrengungen abgerungenen Glanzlichtern im Rahmen des  Kunst-, Literatur- und Musikunterrichts.
Betrachtet man den pädagogischen Erfolg seiner Arbeit, so lässt sich  sagen, dass Blums freiwillige Beschränkung auf  die Arbeit mit Kindern unmittelbar einleuchtet. Abgesehen von seinen unbestreitbaren „handwerklichen“ Fähigkeiten in der gerade auch für kleinere Kinder besonders anregenden musikalischen Bewegungsbegleitung am Klavier wird er sich seines besonderen Talents, nennen wir es mal seinen „siebten Sinn“,  im Umgang mit Kindergruppen jedweden Alters sehr wohl im Klaren sein sowie der Tatsache, dass sein Wirken gerade für die Persönlichkeitsentwicklung dieser noch im Wachstum begriffenen Zeitgenossen auf besonders fruchtbaren Boden fallen, sich gesamt gesehen als besonders gewinnbringend und weitreichend erweisen kann.
Dies im besten Humboldt’schen Sinne, dem  der Gedanke der allseitigen Entwicklung aller Kräfte des Zu-Erziehenden vorrangig war; ein Grundsatz, der – die Kritik an seiner postulierten Dreigliedrigkeit des Schulsystems hin und her –  angesichts der in vorauseilendem Gehorsam freiwilligen Selbstbeschränkung des Schulsystems  auf die im Wirtschaftsleben aktuell willkommenen  Bildungsziele  (sog. „Schlüsselqualifikationen“) unter nach wie vor dem Gedankengut der Aufklärung  verpflichteten  Pädagogen seine Gültigkeit kaum eingebüßt haben dürfte. Die freie Entfaltung und Förderung aller vielseitigen Qualitäten und Fähigkeiten des einzelnen Kindes ist bei ihm Programm  –  so schafft er Spielräume und Experimentierfelder der körperlichen und geistigen Selbst- und Fremderfahrung, erhält die aus Vorgängen in Gruppen nicht wegzudenkende  soziale und personale  Dimension ein stärkeres Gewicht als  anderswo. In einem laboratoriumsähnlichen Raum  entstehen Spannungsfelder durch  spontan sich ergebende Gruppenprozesse und/oder Alleingangsbestrebungen; diese dienen, da sie einhergehen mit emotionalen Aspekten, in besonderer Weise als Übungsfeld für reale Lebenssituationen, können deren Ernsthaftigkeit weitgehend annehmen, erfordern die Suche nach Auswegen oder Lösungen, führen zur Begegnung mit anderen und sich selbst. Ein solcherart vielseitiges Experimentierfeld, im Verbund mit der zauberhaften Welt des Tanztheaters und der Freude an der körperlichen Bewegung, erzeugt ein eigenes Involviertsein, ein persönliches  Engagement und Interesse, das im optimalen Fall  in der Entwicklung eines persönlichen künstlerischen Ehrgeizes, den Ausbau der eigenen Talente auch selbstinitiativ auszubauen, mündet.
Virtuosität  und Autentizität
Wie auch in der Musik aus der Aufführungssituation nicht wegzudenken, spiegelt  Virtuosität neben aller noch so ausgeprägten künstlerischen Sensibilität die eigene Souveränität im Umgang mit dem eigenen Instrument unbestritten wieder. Im Bereich des Improvisationstanzes  bedarf es daher seitens des Tanzlehrers einer besonderen pädagogischen Ansprache und Lenkung, um den teils geplanten, teils intuitiv sich ergebenden Bewegungen unterschiedlicher Qualität nicht nur das Interesse, sondern auch die Möglichkeit zu deren je individueller  Präzision und Verfeinerung einzupflanzen. Das Ziel, zu einer in sich stimmigen, flüssigen und mit Überzeugung vorgetragenen Gesamt-Präsentation zu gelangen, setzt voraus, dass alle Teilnehmer sich immer intensiver in ihre getanzten Figuren und Sequenzen hineinbegeben, um diesen immer noch deutlicher und noch überzeugender zu dem gewünschten Ausdruck zu verhelfen.
Wie entwickelt Blum bei seinen Schülern diese Lust an technischen Fertigkeiten und Fähigkeiten unter weitgehendem Verzicht auf allzu langwierige, teils sehr monotone und ermüdende Übungen und Trainingseinheiten. Ein wesentliches Grundprinzip seines tanzpädagogischen Ansatzes  liegt sicher darin, jedem Tänzer genügend Raum für eigene Experimente und körperliche Erfahrungen zu lassen. Dieser kann gewisse Vorgaben und Hinweise als Angebot annehmen oder sich entscheiden, dies nicht zu tun bzw. diese nach eigenem Gusto  abzuwandeln. In jedem Fall  geht es Blum darum, dass der Tänzer eine klare Entscheidung trifft, sich bewusst macht: so will ich’s haben. Die damit einhergehende Konzentration auf das individuell Gemäße und Gewollte steigert unmittelbar die Qualität, um die es spätestens seit Pina Bausch im Tanztheater geht: Das Tänzerische dient dem Ausdruck, ist nicht Zweck an sich,  wodurch der jeweiligen  Tänzer-Persönlichkeit mit ihren spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten- und fähigkeiten ein besonderer Stellenwert zuerkannt wird.

Die „Nachtstücke“
Die in den nacheinander nach Choreografien von R.Blum aufgeführten  „Nachtstücken  16-2 und 16-1“   sich vollziehende innere Logik und Kohärenz, vergleichbar den Parallelwelten in guter Kinderliteratur, ist ein Faktum, dem man sich als Zuschauer kaum entziehen kann und dessen Akzeptanz nicht zuletzt durch die Ernsthaftigkeit in den Gesichtern der jungen Tänzer und Tänzerinnen und der starken  Überzeugungskraft ihrer Gesten und Bewegungen geradezu eingefordert wird.  Vor dem Hintergrund massiver Schwärze entfaltet sich eine fiktive Realität, eine Lebenswelt  mit festen eigenen Regeln und Gesetzen,  die erfassen zu wollen der Zuschauer unmittelbar angeregt wird.
Im „Nachtstück 16-2“ befinden sich die Tänzer im Spannungsfeld diverser, ihr Verhalten regulierender Kräfte , welche man  begrifflich in etwa mit dem Gegensatzpaar „totalitär-gesteuert“ versus „libertär-unabhängig“ fassen könnte., d.h. es geht um Herrschaft bzw. Gleichschaltung und Revolte gegen diese. Das Stück gliedert sich in fünf Szenen, die  jeweils einen unterschiedlichen Schwerpunkt  innerhalb dieses Spannungsfeldes setzen.
Zu Beginn treten zwei Tänzerinnen mit zwar weitgehend ähnlichen, letztlich aber  doch voneinander unabhängigen Bewegungsmustern auf. Sobald eine dritte Tänzerin dazukommt, vereinheitlichen sich die Bewegungen kurz darauf wie von allein zu einem identischen gleichförmigen Ablauf.
In der anschließenden Szene hat eine Einzelperson mittels eines spezifischen technischen Geräts die Macht, die nacheinander ins  Spiel gebrachten Personen in ihren Bewegungen zu dirigieren, bis schließlich eine ganze Gruppe ihrem  Oberkommando folgend einen identischen Bewegungsablauf ausführt. Dass keiner dabei  „aus der Reihe tanzt“, wird von der machtausübenden Person peinlich kontrolliert, bis plötzlich das  Gerät seinen zauberhaften Geist aufgibt, was zunächst zur Auflösung der vorherigen einheitlich geordneten Konstellation führt –  die Tänzer treten ab.
In einer dritten Szene wird  – eingeleitet durch zwei Vorreiterinnen – die ehedem die Tänzergruppe  beherrschende  Person  zum Spielball der nun plötzlich sich gegen sie auflehnenden, in ihren  gezielten Bewegungen provokativ- aufsässig sich gebärdenden Gruppenmitglieder, deren Bemühungen darauf gerichtet sind, die  verunsichert auf dem Gerät herum klopfende Herrscherperson an dessen neuerlichen In-Gang-Setzen  zu hindern.  Als schließlich dem immer stärker aus dem Konzept geratenen Despoten das Gerät im Eifer des Gefechts  gänzlich abhanden kommt,  entfesselt sich ein beispielloser Spießrutenlauf, wird keine Gelegenheit ausgelassen, den nun endgültig entmachteten ehemaligen Peiniger vorzuführen und in seiner Hilflosigkeit vollständig  lächerlich und unschädlich zu machen. Zum Schluss bleiben nur die beiden anfänglichen Vorreiterinnen mit ihren  Respekt einflößenden, unterschwellig aggressiv wirkenden Bewegungen übrig, die als erste den Mut hatten, als Provokateure aufzutreten. Man fragt sich, was nun folgen wird.
Die Anfangsmusik (von Monteverdi) verrät es: Die Verhältnisse haben sich wieder zum früheren Zustand der Gleichförmigkeit zurückentwickelt: Mittels eines mit beiden Händen gehaltenen Stabes folgen die Tänzer, dergestalt in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt, mit ihren fest umrissenen Bewegungen erneut einem diesmal subtiler im Verborgenen wirkenden, unsichtbaren Kommando. Die Situation scheint festgefroren , da löst sich unerwartet eine Einzeltänzerin aus dem Ganzen,  handhabt den Stab  auf überraschend neue,  autonome Weise, indem sie ihn nur noch mit einer Hand hält und raumgreifend herumschwenkt, somit den Stab  zweckentfremdet eher als  nützliches Mittel denn als Hemmnis der Bewegungsfreiheit  zum Einsatz bringt, damit das Tor zu ungeahnten neuen Möglichkeiten öffnet. Entsprechend  fasziniert und beeindruckt, stellen die Übrigen ihre eigenen Aktionen automatisch ein, setzen sich zu Boden und werden zu aufmerksamen Beobachtern. Das Beispiel der Tänzerin macht dann sogleich Schule :    erst eine , dann eine zweite Vierergruppe erhebt sich aus der Schar der Zuschauer und startet den Versuch,   das Vorgemachte zu imitieren – vergeblich: Der Schlüssel zum Erfolg, die einhändige, raumgreifende Handhabung des Stabes – war nicht verstanden worden,  die Bemühungen, die Gefangenheit in der Gleichförmigkeit zu überwinden,  müssen kläglich eingestellt werden.
In der darauffolgenden Szene ist es wieder eine Einzelperson, diesmal von einem Jungen getanzt, der es auf wundersame, geniale Weise  gelingt, den Bann zu brechen und im freien Umgang mit den Möglichkeiten des Stabes, in dessen intelligenter Erprobung  und Erforschung, zu völlig neuen, in ihrer Freiheit über die der vorher ja auch schon recht innovativen Einzeltänzerin weit hinausgehenden Bewegungsformen zu gelangen, im klaren Bewusstsein des eigentlichen Hilfsmittelcharakters dieses Instruments und dessen offensichtlich bewegungsinitiierenden Werts, sobald man dieses sinngeleitet handhabt und sich in freiwilliger Selbstbeschränkung von den ihm inhärenten potentiellen Chancen und Grenzen leiten lässt.
Man möchte sagen wider besseres Wissen, vielleicht auch wiederum aus einem mangelnden oder falschen Verständnis heraus,  oder letztlich gesteuert von  einer unersättlichen Gier,  nun endgültig alle Fesseln fallen lassen und völlig ungehemmt die ungeahntesten  Bewegungen ausführen zu können, ruft dieses Beispiel des klugen und sich selbst nicht zum Maßstab aller Dinge machenden Entdeckers der technischen Eigenschaften und Möglichkeiten des Stabs bei der Restgruppe nicht etwa Nachahmer, sondern Ignoranz und weitere grenzüberschreitende Aktionen hervor: den „klugen Kopf“ in ihren Reihen völlig links liegen lassend, haben sich die übrigen Tänzer  in ihrem nun folgenden neuerlichen Auftritt  des Stabes komplett entledigt, präsentieren  sie „ Freiheit pur“, wobei  der ehemalige Herrscher aus den Anfangsszenen nunmehr bedeutungslos in ihrer Menge mit schwimmt. In den nun vorgeführten Bewegungen verfolgen die Gruppenmitglieder völlig konträr zur ehemaligen Einheitlichkeit das Ziel  der persönlichen  Abgrenzung und Unterscheidung, etwa  nach dem Motto: „Jeder nach seiner Façon bzw. eigenem Belieben“, wobei, nachdem jeder Einzelne seine persönliche Form demonstriert hat,   auch wieder ansatzweise gemeinsame Aktionen  entstehen,  wie  beispielsweise ein spontanes  Sich-Knubbeln  um ein plötzlich die Aufmerksamkeit erregendes,  von außen aber nicht auszumachendes  Phänomen herum. Ebenso – wie in einem Akt  gemeinsamer Desillusionierung – ergibt sich ein gleichzeitiges Zu-Boden-Fallen mit  anschließendem  Versuch,  sich neu zu formieren,  was aber nur zu  unkoordiniert bleibenden,  wenig aus dem Gesamtgewusel hervortretenden  Einzelaktionen führt. Den Abschluss bildet ein letztlich auch wieder insgesamt gesehen recht gleichförmiges, d.h. wenig individuell hervorstechendes,  isoliert voneinander stattfindendes sinnlos erscheinendes Herumgehoppse in abgehackten Bewegungen, deren Zerrissenheit  und mangelnder Zusammenhalt  noch durch die  in schnellem Wechsel aufflackernden und verlöschenden Lichtreflexe  optisch  verstärkt werden – ein  Statement dahingehend, dass die völlige  Loslösung von jeglicher Bindung und Führung, ein in unserer heutigen Konsumgesellschaft oft gehegter Wunschtraum,  letztlich nicht zu mehr individueller Entfaltungsfreiheit, schon gar nicht zu einem Mehr an Qualität, sondern eher zu deren Verlust  führen?
Das Stück regt in der Tat in vielfacher Hinsicht zum Nachdenken an und wirft interessante Fragen auf: Was geschieht z.B. weiter mit einer solchen Gesellschaft, deren Mitglieder, in einem falschen Verständnis von Freiheit sich lediglich von den eigenen primären Impulsen und Bedürfnissen leiten lassend, ihre besten Mitgliedern ignorieren, um sich im eigenen Egokult gegenseitig zu paralysieren, dabei letztlich nichts  im eigentlichen Sinne Produktives, für andere Nützliches hervorzubringen? Oder aus evolutionsbiologischer Sicht  gefragt: Könnte es uns heute überhaupt geben, wenn wir de facto von einer Menschengruppe abstammen würden, die die Einsichten ihrer intelligenten Mitglieder nicht nutzt bzw. umgekehrt die Intelligenten ihrerseits die eigene Truppe nicht nutzen – zu welchen humanistisch-sozialen oder eigennützig-herrschaftsorientierten Zwecken auch immer? Das Durchspielen denkbarer Konstel-lationen in früheren Epochen der Menschheitsgeschichte mag – neben anderen möglichen Assoziationen, die an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden sollen – im Entstehungsprozess des Stückes unterschwellig eine Rolle gespielt haben.

Das  Nachtstück 16-1 evoziert von seinem Aufbau und seinen konstitutiven Elementen her unmittelbar die Assoziation mit den formgebenden Teilen in klassischen Musikstücken.
Nach einer Art kurzer Introduktion oder Einleitung, in der, wiederum von der Schwärze der Nacht umgeben, einige Tänzerinnen nach einem bestimmten Muster umeinander herumlaufen, wobei ihre Wege geradlinige und kreisförmige Linien umschreiben, werden, gleich den oppositionellen Themen im ‚Exposition‘ genannten ersten Teil einer Sonate oder Symphonie, von zwei unterschiedlichen Tänzergruppen zwei zueinander völlig konträre Bewegungsformen eingeführt, die man unter dem Gegensatz „Askese“ versus „Ekstase“ fassen könnte und welche sich wie eine thematische Grundgestalt durch das gesamte Stück ziehen.
Das erste „Tanz-Thema“, zunächst von einer auf die Bühne stürmenden Einzelperson gezeigt, wird in aufrechter Haltung ausgeführt. Es besteht aus wenigen, eckig und abgehackt wirkenden Bewegungselementen, die nach und nach von weiteren Tänzern dieser ersten Gruppe teils in Parallelbewegung, also ‚wortwörtlicher‘ Wiederholung,   teils tempomäßig variiert oder von anderer Stelle im Raum aus  übernommen werden.
Diese, dem harten Rhythmus der Musik folgenden und dadurch zeitlich streng getakteten, in ihrer überschaubaren Reduziertheit einen eher asketischen Eindruck erweckenden Bewegungen werden in der folgenden Szene  abgelöst von einer in Bodennähe sich horizontal fortbewegenden, kontinuierlich fließenden, hochgradig geschmeidigen und weichen, ästhetisch formvollendeten Gesamtform von nicht enden wollenden, in rauschhaftem Taumel sich wirbelnden Drehbewegungen.  Unterdessen ergibt sich eine immer stärker ins Bewusstsein tretende Geräuschkulisse: ein deutlich hörbarer, sturmartiger Wind, auch optisch sichtbar durch flatternde rote Tücher, mischt sich wie ein weiterer, unsichtbarer Akteur in das Geschehen, woraufhin alle abtreten.
Alsbald tritt, in einer Art Zwischenakt oder Intermezzo, eine märchenhaft wirkende, langhaarige Gestalt auf, vor den Augen eine dunkle, von Federn umrahmte Maske tragend.  Mit ihren gleich einem „Luftgeist“ geradezu schwerelos wirkenden schwebend-leichten Bewegungen wird zugleich eine neue Bewegungsqualität erreicht, welche die ehedem scharfen Kontraste zwischen harten und weichen Bewegungen scheinbar in sich aufzunehmen oder auszugleichen vermag; in der Tat beruhigt sich der Wind, dessen Geräusche allmählich verstummen.
Im Folgenden Teil scheint sich – zieht man wieder den Vergleich zu einer klassischen Sonate  – eine Art „Durchführung“  bzw. „Themenverarbeitung“ anzubahnen. Dabei werden in Verbindung zu neuen, bisher unbekannten Formen  die  im Expositionsteil in ihrer Reinform  eingeführten Bewegungsformen nunmehr in einzelne spezifische Grundelemente und –partikel zerlegt oder in mehr oder weniger variierter und abgewandelter Form immer wieder ins Spiel gebracht .
Zunächst scheint dabei das durch kreisende Bewegungselemente gekennzeichnete Motiv die Oberhand zu erhalten: so wirbeln beispielsweise in kurzen Abständen, diesmal aber in aufrechter Haltung,  einzelne Tänzer mit schnellen, geschmeidigen Drehbewegungen über die Bühne, zeitweise zwischenzeitlich innehaltend, wie einer flüchtigen Erinnerung oder Wahrnehmung nachsinnend. Ferner ergeben sich durch das Auftreten einer geheimnisvollen Gestalt, deren Gesicht vollständig durch eine weiße Maske bedeckt ist, völlig neue Varianten des kreisenden Grundmotivs. Diese lässt sich, wie von Zauberhand angezogen, zu Boden sinken, um nach einigen schlangenartigen Windungen zu einer aufrechten Sitzhaltung zu gelangen.
Inzwischen sind weitere, dem ersten sehr ähnlich aussehende und sich bewegende Luftgeister hinzugetreten. Im Verein mit zwei weiteren unmaskierten Tänzern nehmen sie, in einer Formation von 3 Reihen zu je drei Mitgliedern, dem Beispiel der weißmaskierten Tänzerin folgend deren Sitzhaltung ein, wobei sich aus der Anordnung der Maskenträger in rätselhafter Weise  ein magisches Kreuz ergibt. Angeleitet von der zuvorderst sitzenden weißmaskierten Gestalt entwickelt sich nun bei allen  ein selbstvergessenes, in sich versunkenes Bewegungsspiel von kreisenden Arm- und Handbewegungen, in  dessen unaussprechlicher Ruhe und Mystik sich jegliches Gefühl für Raum und Zeit aufzuheben scheint. Das Ganze endet wieder in der massiven Schwärze der Nacht, wo das erneut aufkommende Windgeräusch nun umso eindringlichere Züge annimmt.
Erneut wie bei einem „Intermezzo“, bei dem, wie z.B. in frühen Formen der Oper, von  Inhalt und Charakter des eigentlichen Hauptstückes völlig unabhängige, in sich geschlossene kleine Zwischen-spiele aufgeführt wurden, erfolgt nun ein völlig neues Szenario: Nacheinander auftretende zahlreiche Tänzer vollführen, in einer Art Endlosschleife und in unterschiedlichen Konstellationen, einen spezifischen Ablauf, beginnend mit  einigen den Raum abschreitenden Erkundungsgängen, wonach sie schließlich in den  sich bildenden Tanzreihen eine bestimmte Position einnehmen.  Wie bei einem Volksfest auf dem Dorfe, untermalt von einer fröhlichen, irisch-keltisch klingenden Musik,  beginnt nun ein vorwiegend aus simultanen Tanzschritten und hüpfenden oder armschwenkenden Figuren bestehender Reihentanz, wobei sich zwischendurch zwei Hauptgruppen herausbilden, die dann die gleiche Abfolge  jeweils zeitlich versetzt tanzen. Quasi als Vorwegnahme der nächsten Szene taucht auch schon ein  Vorwärtskrabbeln auf. Nichts scheint die unbekümmerte Atmosphäre erschüttern zu können, bis die Nacht mit ihrem diesmal noch stärker gewordenen Wind alles beendet und ins Dunkel hüllt.
Begleitet von vorwiegend wieder die fließend-wirbelnden Drehungen der Anfangsphase aufgreifenden Aktionen einzelner Tänzer werden nun die inzwischen recht passiv wirkenden „Luftgeister“ nacheinander herbeigeführt und wie leblose Puppen in den Wind gestellt, wo vornehmlich  von ihren  wehenden Haare eine  Bewegung ausgeht und damit dessen augenblickliche Stärke – ähnlich wie an früherer Stelle durch die Tücher – visualisiert wird. Hierbei scheinen sie jedoch zu einem neuem, ganz eigenen Gefühlsleben erweckt zu werden.
In der nächsten Szene füllt sich die Bühne nach und nach durch sich wieder wirbelnd um die eigene Achse  drehende oder mittels eines Partners gedreht werdende, schließlich am Boden landende Akteure, die sich sodann vorwärts kriechend in Richtung auf den Wind und dessen unsichtbare Quelle zubewegen, welche durch die wieder  kräftig flatternden Tücher örtlich angedeutet wird. Hierbei lassen sich  verschiedene Methoden, der Windquelle zu begegnen, unterscheiden: Während es einem Teil der Beteiligten, deutlich unter Aufbringen aller Kräfte, um Terraingewinn geht, wobei sie ständig nach hinten zurückgeschoben werden, sobald sie der Quelle zu nahe gekommen sind, scheint ein anderer Teil sich freiwillig von der Kraft des Windes  hoch- und zurücktreiben zu lassen, in einem eigenen, erlebnisreichen Spiel. Die im Hintergrund dazugekommenen maskierten „Luftgeister“  zeigen schließlich mit ihren langsamen, aber stetigen Schritten ein zielsicheres Verfahren, womit sie die Quelle schließlich erreichen und hinter einer schwarzen Wand verschwinden. Die Bühne versinkt abermals im Dunkel der Nacht.
Wieder ähnlich dem abschließenden Finale einer klassischen Sonate oder Symphonie scheint sich nun eines der beiden gegensätzlichen „Themen“ endgültig zu behaupten: wider Erwarten das erste, basierend auf den zeitlich getakteten, eckigen Bewegungen, das zur Bekräftigung seiner schlussendlichen Durchsetzung in seiner vollständigen Form, in der es in der „Exposition“ eingeführt worden war, wiederholt wird.
Doch das Ganze hat, gleich einem Epilog, noch ein Nachspiel: Die schrittweise Demontierung des am Ende siegreichen Themas, gleichsam als kritischer Kommentar zum  Thema „Sieger“ und „Besiegte“: Eine plötzlich sich abspaltende Gruppe, deren augenfälliger Anführer in höchst lässiger und unbekümmerter Manier rauchend und Eis schleckend auf- und ab schlendert, löst ein immer weiter um sich greifendes, unkontrolliertes Umherwandeln, Herumgerenne oder –getobe aus, welches schließlich zur völligen Aufhebung des vorherigen klaren und geordneten Bewegungsschemas führt. In der Folge ergibt sich ein Massenauflauf wie in einer sehr belebten Geschäftsstraße oder auf einem Jahrmarkt. Eine spezielle Person fällt auf, indem sie die Vorbeigehenden anspricht,  Eintrittskarten an sie verteilt, dann die Gäste mit einer großen Verbeugung wie vor einer Vorführung begrüßt, woraufhin ein Kampf zwischen Löwe und Dompteur, mit anschließend  wechselnden Rollen, stattfindet: nachdem der Löwe den Dompteur erfolgreich angegriffen und aufgefressen hat, wird er selbst zum Dompteur, um daraufhin seinerseits vom Löwen gefressen zu werden. Nach weiteren Rollenwechseln verwischt sich die Kontur zwischen Jäger und Gejagtem, Sieger und Besiegtem. Das Publikum, zum Teil parteiergreifend, beteiligt sich weitgehend an der nun einsetzenden allgemeinen Hetzjagd gegen den Verlierer, eine Situation „Einer gegen alle“ entsteht, bis sich das Gemenge schließlich unentschieden auflöst. Unterdessen haben unbemerkt die Windgeräusche wieder eingesetzt und lautstärkemäßig immer weiter zugenommen: das eigentliche Schlusswort bleibt ein Fragezeichen, gesetzt von einem bis zum Ende rätselhaft und geheimnisvoll im Verborgenen bleibenden Akteur, sichtbar lediglich durch drei  nacheinander auf die Bühne flatternde Tücher.
Gerlinde Deckers-Fabian

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